Der Beter
Im gotischen Dom einer alten Stadt saß Tag für Tag ein Mann in der letzten Bank und bete den Rosenkranz. Da der Dom immer geöffnet war, hielten sich zu jeder Zeit Touristen in ihm auf, die seine Architektur und seine Kunstschätze bewunderten. So blieb es nicht aus, daß der Beter eines Tages von einem Touristen angesprochen wurde. „Wie können Sie den Rosenkranz beten?“ fragte der Tourist. „Christus hat doch gesagt: Plappert nicht wie die Heiden, die meinen, sie würden nur erhört, wenn sie viele Worte machten. Gott weiß doch, was wir brauchen, noch ehe wie ihn bitten.“ Der Beter besann sich. – Dann antwortete er: „Es ist kein Plappern. Es ist auch nicht nur Bitten, sondern Beten.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte der Tourist. Der Beter sagte: „Zuerst bekenne ich meinen Glauben. Unseren Glauben. Dann bete ich wiederholt das Gebet des Herrn. Ich lobe zuletzt immer wieder die Gottesmutter und grüße sie mit den Worten des Engels, mit denen das Heil der Welt begann. Danach grüße ich sie mit den Worten einer Heiligen. Zuletzt bitte ich, aber um nichts Bestimmtes, denn Marian weiß besser als ich, was Gott uns geben möchte: uns – denn ich bitte nicht nur für mich, sondern für uns Sünder.“ „Ist es nicht geisttötend, immer wieder dasselbe zu sprechen?“ wollte der Tourist wissen. Der Beter antwortete: „Das Rosenkranzgebet verhindert, daß mir Augen, Ohren und Zunge davonlaufen: Viele Menschen denken, während sie beten, an manches andere. Wenn ich aber die Worte des Engels und der Heiligen spreche, begleite ich mit meinem Herzen Jesus ein Stück seines Leben.“ Und er fügte hinzu: „Für einen einfachen Menschen wie mich gibt es wohl kaum ein besseres Gebet.“ A.K.
(Entnommen dem „Marienkalender 1981)